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Forró: Klang des Widerstands

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(Dieser Artikel erschien auch im Zentralorgan der KPD "Die Rote Fahne" - Ausgabe Mai 2025)

Forró steht für eine Tanz- und Musikrichtung, die nicht nur Lebensfreude versprüht, sondern auch eine tief politische Geschichte trägt. Wer sich mit der internationalen Arbeiterbewegung beschäftigt, stößt immer wieder auch auf die zentrale Rolle von Kultur, Musik und Tanz. Diese waren und sind oft ein wichtiger Bestandteil der sozialen und kulturellen Aktivitäten von Arbeitervereinen und politischen Organisationen. Tänze stärkten das Gemeinschaftsgefühl, die Solidarität und die politische Identität – und waren zugleich eine Abgrenzung zur oft als dekadent empfundenen bürgerlichen Unterhaltungskultur. Auch Forró kann in diesem Kontext verstanden werden: als Ausdruck einer widerständigen Kultur der Armen, als Form der Selbstbehauptung gegen koloniale und kapitalistische Ausbeutung.

 

Die Geburt des Forró: Musik der Unterdrückten

Forró ist mehr als nur Musik und Tanz. Seine Wurzeln reichen tief in die Geschichte von Kolonialismus, Sklaverei und Klassenkampf in Brasilien. Die Rhythmen, die heute Menschen auf der ganzen Welt in Bewegung versetzen, sind Ausdruck jahrhundertelanger Unterdrückung – aber auch des Widerstands dagegen.

Der Nordosten Brasiliens war eine der Regionen, die am stärksten unter der kolonialen Ausbeutung litten. Bereits 1500 landeten portugiesische Kolonialherren an der brasilianischen Küste, und ab 1530 begann die systematische Kolonisierung. Auf den Zuckerrohrplantagen, die insbesondere in Pernambuco und Bahia florierten, wurden Millionen afrikanischer Sklaven unter unmenschlichen Bedingungen eingesetzt. Schätzungen zufolge wurden zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert etwa 4,9 Millionen Afrikaner nach Brasilien verschleppt – mehr als in jedes andere Land der sogenannten Neuen Welt. Die Mehrheit der versklavten Menschen stammte aus Regionen, die heute zu Angola, der Demokratischen Republik Kongo, Nigeria, Benin, Ghana und Mosambik gehören. Sie brachten ihre Sprachen, Religionen, Rituale und musikalischen Ausdrucksformen mit, die sich mit den kulturellen Praktiken der indigenen Bevölkerung vermischten.

 Forro Artikel - Sklavenhandel-Karte

Bildquelle: Transatlantischer Sklavenhandel 1501–1866. David Eltis and David Richardson,
Atlas of the Transatlantic Slave Trade (New Haven, 2010), slavevoyages.org, Lizenz: Creative Commons

Neben der Versklavung afrikanischer Menschen wurden indigene Gemeinschaften aus ihren Gebieten vertrieben, ausgerottet oder ebenfalls zur Arbeit gezwungen. Die koloniale Ordnung wurde von brutaler Gewalt aber auch von Widerstand begleitet. Bereits im 17. Jahrhundert kam es zu großen bewaffneten und erfolgreichen Aufständen wie der Quilombo von Palmares (1605–1694), einem autonomen Siedlungsgebiet entlaufener Sklaven, das über Jahrzehnte der portugiesischen Kolonialmacht trotzte.

Auch wenn Forró in der heute bekannten Form viel jünger datiert wird, so sind seine Wurzeln in diesem viel größeren Kontext zu finden. In den engen sozialen Räumen der Armen, unter freiem Himmel oder in einfachen Tanzhäusern, fanden die Menschen zwischen harter Arbeit und Armut Momente des kollektiven Austauschs. Musik und Tanz wurden zu Werkzeugen des Überlebens und der Selbstbehauptung. Es ist äußerst wichtig zu betonen, daß Forró – oder die Elemente, die sich vermischten und weiterentwickelten, bis sie zum heutigen Forró wurden – in einer sehr turbulenten Epoche der brasilianischen Geschichte entstand: der Zeit der Sklaverei, in der ethische und ethnische Konzepte ganz anders verstanden wurden als heute. Brasilien war das letzte Land Lateinamerikas, das die Sklaverei erst 1888 offiziell abschaffte – doch die letzten offiziellen Aufzeichnungen über Sklavenarbeit stammen noch aus dem Jahr 1920. Die Vorläufer des heutigen Forró entwickelten sich also größtenteils während der Sklaverei.

 

Was bedeutet Forró? Eine Geschichte zwischen Volk und Kampf

Der Begriff „Forró“ selbst ist umstritten und reich an Bedeutung. Manche führen ihn auf das Wort „forrobodó“ zurück – ein Begriff aus der Umgangssprache, der „großes Durcheinander“ oder „Fest“ bedeuten kann. Andere erzählen, dass britische Eisenbahnarbeiter in der Kolonialzeit Einladungen zu Feiern mit dem Ausdruck „for all“ kennzeichneten – offen für alle. Die Menschen aus der Region hätten daraus „Forró“ gemacht. Ob wahr oder Legende – beide Deutungen zeigen: Forró war nie exklusiv. Es war die Musik derer, die ausgeschlossen waren – und die sich genau deshalb versammelten.

 

Musik als Spiegel der Gesellschaft

Nach marxistischer Analyse ist Kultur nicht losgelöst von den materiellen Verhältnissen zu betrachten. Die soziale Basis des Forró war und ist die arbeitende Klasse, insbesondere Landarbeiter und Kleinbauern.

Die extrem ungleiche Landverteilung Brasiliens geht auf die koloniale Sesmaria-Politik zurück, mit der große Landgüter an portugiesische Siedler vergeben wurden. Auch nach der Unabhängigkeit 1822 blieb diese Struktur erhalten. Während die Oberschicht riesige Latifundien kontrollierte, blieb der Mehrheit der Bevölkerung der Zugang zu Land verwehrt. Bis heute besitzt etwa 1 Prozent der Großgrundbesitzer fast 50 Prozent des landwirtschaftlich nutzbaren Bodens. Eine umfassende Landreform wurde nie durchgeführt – trotz wiederholter Versprechen in der brasilianischen Politik.

Forró entwickelte sich in dieser Realität auch als Form des Widerstands gegen die entfremdende Arbeit und die brutalen Lebensbedingungen. Im 20. Jahrhundert wurde der Forró in den Städten populär, insbesondere durch Musiker wie Luiz Gonzaga, der in den 1940er-Jahren die Lieder des Volkes aufgriff und in die Musikindustrie einbrachte. Doch dieser Wandel bedeutete auch eine erste Vereinnahmung: Die herrschende Klasse begann, den Forró als „folkloristische“ Musik zu vermarkten, wodurch er in Teilen entpolitisiert wurde.

Typische Instrumente des traditionellen Forró sind die Zabumba (eine flach gespielte Basstrommel), das Akkordeon (Sanfona) und die Triangel. Diese Kombination erzeugt einen treibenden, rhythmischen Klang, der sowohl melancholisch als auch voller Energie sein kann. Im Zusammenspiel spiegeln die Instrumente das bäuerliche Leben, den Zusammenhalt und die Widerstandskraft der einfachen Leute wider.

 Forro Artikel - Instrumente

Die Instrumente des traditionellen Forró sind die Zabumba, das Akkordeon (Sanfona) und die Triangel. Die Musik ist sehr vielfältig, rhythmisch und lebendig – so auch der Tanz, der mal schnell, fröhlich und energiegeladen, mal langsam und sinnlich sein kann. Im Vordergrund steht die Verbindung und Kommunikation zwischen den Tanzpartnern. Der Forró Grundschritt ist recht einfach und die ersten Schritte schnell erlernt.
Bildquelle: O que é o Forró? Um pequeno apanhado da história do Forró, Ivan Dias e Sandrinho Dupan, 2022

 

Klassenkampf in Musik und Bewegung

Dennoch blieb der Forró in den Armenvierteln und auf dem Land ein Symbol des Widerstands. In den 1980er-Jahren, mit dem Ende der Militärdiktatur (1964–1985), formierte sich die brasilianische Landlosenbewegung MST (Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra). Seit ihrer Gründung 1984 kämpft sie gegen die ungleiche Landverteilung, organisiert Landbesetzungen und fordert eine umfassende Agrarreform. Die MST sieht sich als Fortsetzung eines langen Widerstands: von indigenen Aufständen, über die Quilombos (Gemeinschaften geflohener Sklaven), die Cangaceiros im Nordosten bis zu den heutigen Bewegungen. Bis heute hat die MST mehr als 2.500 Landbesetzungen durchgeführt und über 350.000 Familien neu angesiedelt.

Kultur spielt in der Bewegung eine zentrale Rolle. Musik, Theater und Tanz sind integraler Bestandteil der politischen Bildung. Forró wurde dabei bewußt auch als kulturelle Waffe aufgegriffen: Seine Lieder erzählen oft von einfachem Leben, von harter Arbeit, von der Sehnsucht nach Land, von Gerechtigkeit und vom Stolz der bäuerlichen Identität. In den besetzten Gebieten und auf nationalen Treffen erklingen Forró-Rhythmen als Soundtrack des Widerstands.

 

Kulturelle Hegemonie und die Vereinnahmung

In den letzten Jahrzehnten hat sich der Forró über Brasilien hinaus verbreitet und ist heute auch in Europa und Nordamerika populär. Doch mit dieser Expansion ging auch eine zunehmende Kommerzialisierung einher. Die Musikindustrie schuf den "Forró universitário", eine urbanisierte, oft entpolitisierte Variante, die sich an ein Mittelschichtspublikum richtet. Hier zeigt sich, wie die kapitalistische Kulturindustrie widerständige Ausdrucksformen aufgreift, transformiert und in konsumierbare Ware umwandelt.

Gleichzeitig gibt es auch Gegenbewegungen: Musiker und Aktivisten in Brasilien knüpfen an die revolutionären Wurzeln des Forró an, indem sie seine politische Dimension bewußt wieder in den Vordergrund rücken. Projekte wie "Forró de Raiz", Volksfeste in MST-Siedlungen oder internationale Tanzveranstaltungen, die auf politische Bildung setzen, zeigen: Der Kampf um die Deutungshoheit über diese Musik ist nicht entschieden.

 

Forró als fortgesetzter Widerstand

Forró ist nicht nur ein sich ständig weiterentwickelnder Tanz und nicht nur Musik. Er ist Ausdruck einer tief verwurzelten sozialen Bewegung, die aus der Geschichte von Sklaverei, Landraub und Klassenkampf hervorgegangen ist. Die Frage ist nicht nur, wie der Forró in Europa und anderswo getanzt wird, sondern auch, wie seine revolutionäre Geschichte fortgeschrieben werden kann. Wer Forró tanzt, tanzt auch auf den Spuren derer, die sich gegen Ausbeutung und Unterdrückung zur Wehr setzten. Diesen Geist gilt es zu bewahren, zu erinnern – und weiterzutragen. Denn Forró war nie unpolitisch. Und er muß es auch heute nicht sein.

M. Nagler

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