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Offener Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel:

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Übersetzung aus dem Englischen: Jürgen Heiser

Ehemalige Mitarbeiter der US-Geheimdienste warnen davor, Behauptungen über eine »russische Invasion« in der Ukraine Glauben zu schenken

Alarmiert durch die antirussische Hysterie, von der das offizielle Washington erfaßt ist, veröffentlichten ehemalige US-Geheimdienstler am 31. August mit Blick auf den am heutigen Donnerstag beginnenden NATO-Gipfel in Wales einen offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Wir, die Unterzeichner, sind ehemalige langjährige Mitarbeiter der US-Geheimdienste. Wir machen diesen ungewöhnlichen Schritt, Ihnen einen offenen Brief zu schreiben, um sicherzustellen, daß wir Ihnen unsere Ansichten vor dem vom 4. bis 5. September stattfindenden NATO-Gipfel darlegen können. Sie müssen beispielsweise wissen, daß die Vorwürfe einer großangelegten russischen »Invasion« in der Ukraine nicht durch zuverlässige nachrichtendienstliche Daten gestützt werden. Vielmehr scheinen die »nachrichtendienstlichen Daten« von der gleichen dubiosen, politisch »fixierten« Art zu sein wie jene vor zwölf Jahren, mit denen der von den USA angeführte Angriff gegen den Irak »gerechtfertigt« wurde. Wir konnten damals im Irak keine überzeugenden Beweise über Massenvernichtungswaffen finden; genausowenig können wir heute überzeugende Beweise für eine russische Invasion erkennen. Eingedenk der dürftigen Beweislage hat sich der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder vor zwölf Jahren geweigert, an dem Angriff gegen den Irak teilzunehmen. Unserer Meinung nach sollten Sie gegenüber den aktuellen Vorwürfen des US-Außenministeriums und der NATO-Offiziellen gleichermaßen mißtrauisch sein. (…)

Vor allem wegen der wachsenden Bedeutung nachrichtendienstlicher Daten, die wir für fadenscheinig halten, und dem offensichtlichen Vertrauen auf diese denken wir, daß die Möglichkeit der Eskalation von Feindseligkeiten über die Grenzen der Ukraine hinaus in den letzten Tagen zugenommen hat. Wir sind überzeugt, daß eine solche durch vernünftige Skepsis abgewendet werden kann.

Wer einmal lügt …

Wir hoffen, daß Ihre Berater Sie an die unsaubere Weste von NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen in Sachen Glaubwürdigkeit erinnert haben. Es scheint uns, daß Rasmussens Reden weiterhin in Washington verfaßt werden. Das war einen Tag vor dem US-geführten Einmarsch in den Irak mehr als deutlich, als er in seiner Funktion als dänischer Ministerpräsident vor dem Parlament erklärte: »Irak verfügt über Massenvernichtungswaffen. Das glauben wir nicht nur. Das wissen wir.«

Fotos können mehr sagen als tausend Wörter; sie können aber auch täuschen. Wir verfügen über lange Erfahrungen im Sammeln und Auswerten von nachrichtendienstlichen Daten. Es genügt der Hinweis, daß die von der NATO am 28. August veröffentlichten Fotos nur eine sehr fadenscheinige Grundlage dafür bieten, Rußland des Einmarschs in die Ukraine zu bezichtigen. Leider besteht eine frappierende Ähnlichkeit mit den Fotos, die Colin Powell am 5. Februar 2003 vor der UNO gezeigt hat und die gleichermaßen nichts bewiesen. Damals haben wir noch am selben Tag Präsident Bush gewarnt, daß unsere früheren Analystenkollegen »zunehmend über die Politisierung der Geheimdienste beunruhigt« seien, und wir sagten ihm rundheraus, daß »Powells Präsentation nicht ansatzweise« einen Krieg rechtfertige. Wir drängten Mr. Bush dazu, die Diskussion über den Kreis jener Berater hinaus zu erweitern, die zu einem Krieg bereit waren, für den wir jedoch keinen zwingenden Grund sahen und von dem wir glaubten, daß die unbeabsichtigten Folgen katastrophal wären. Schauen Sie sich den Irak heute an. Die Lage dort ist schlimmer als katastrophal.

Obwohl Präsident Wladimir Putin bis jetzt im Hinblick auf den Konflikt in der Ukraine eine beachtliche Zurückhaltung gezeigt hat, obliegt es uns, daran zu erinnern, daß auch Rußland zu »Shock and Awe« (Schrecken und Ehrfurcht, eine Kriegstaktik, jW) in der Lage ist. Wenn es nur die geringste Möglichkeit gibt, daß so etwas wegen der Ukraine in Europa passieren könnte, müssen nach unserer Meinung besonnene politische Führer sehr sorgfältig abwägen. Wenn die Fotos, die von der NATO und den USA veröffentlicht wurden, den besten verfügbaren Beweis für eine russische Invasion darstellen, wächst unser Verdacht, daß massive Anstrengungen im Gange sind, die Zustimmung des NATO-Gipfels zu Aktionen zu erreichen, die Rußland sicher als Provokation werten würde. (…)

Durchschaubares Timing

Die gängige Meinung, die vor wenigen Wochen von Kiew vertreten wurde, lautete, daß die ukrainischen Streitkräfte im Kampf gegen die Föderalisten, die sich im Südosten der Ukraine dem Staatsstreich widersetzen, die Oberhand gewonnen hätte in einer Operation, die weithin als Aufräumaktion dargestellt wurde. Aber dieses Bild der Offensive stammte fast ausschließlich aus offiziellen Regierungsquellen in Kiew. Es gab nur wenige Berichte direkt vom Schauplatz in der Südostukraine. Ein Bericht jedoch zitierte den ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko und nährte damit Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Regierungsdarstellung. Laut »Pressedienst des Präsidenten der Ukraine« vom 18. August hatte Poroschenko eine »Umgruppierung ukrainischer Militäreinheiten veranlaßt, die an der machtvollen Operation im Osten des Landes beteiligt sind … Heute müssen wir die Umgruppierung der Streitkräfte durchführen, die unser Territorium verteidigen und die Fortführung der Armeeoffensiven garantieren werden«, erklärte Poroschenko und fügte hinzu: »Wir müssen unter den neuen Umständen eine neue Militäroperation in Betracht ziehen.« Wenn mit den »neuen Umständen« ein siegreiches Vorgehen ukrainischer Regierungstruppen gemeint war, warum war es dann notwendig, die Streitkräfte »umzugruppieren« oder »zu reorganisieren«? Etwa zu diesem Zeitpunkt begannen Quellen vor Ort über eine Reihe erfolgreicher Angriffe der Föderalisten gegen Regierungsstreitkräfte zu berichten. Demnach erlitt die Regierungsarmee vor allem wegen ihrer Unfähigkeit und schlechten Führung heftige Verluste und verlor an Boden. Zehn Tage später, als sie eingekreist wurde und/oder zurückwich, mußte die »russische Invasion« als Entschuldigung dafür herhalten. Genau in diesem Moment veröffentlichte die NATO die unscharfen Fotos. (…)

Beachtliche Unterstützung

Die Föderalisten im Südosten der Ukraine erfreuen sich beachtlicher Unterstützung vor Ort, teilweise als Resultat der Artillerieangriffe der Regierung auf Ballungszentren. Wir vermuten, daß Unterstützung von russischer Seite über die Grenze geströmt ist, einschließlich ausgezeichneter nachrichtendienstlicher Daten über die Schlachtfelder. Aber es ist völlig unklar, ob diese Unterstützung zum jetzigen Zeitpunkt auch Panzer und Artillerie umfaßt – vor allem, weil die Föderalisten besser geführt werden und überraschend erfolgreich darin waren, die Regierungsstreitkräfte festzunageln. Gleichzeitig hegen wir wenig Zweifel, daß die russischen Panzer kommen werden, wenn die Föderalisten sie brauchen.

Genau aus diesem Grund verlangt diese Situation konzertierte Anstrengungen zum Erreichen eines Waffenstillstands, den Kiew bis jetzt hinauszögert. Was ist zu tun an diesem Punkt? Nach unserer Auffassung muß Poroschenko und Jazenjuk rundheraus klargemacht werden, daß die Mitgliedschaft in der NATO nicht auf der Tagesordnung steht – und daß die NATO nicht beabsichtigt, einen Stellvertreterkrieg gegen Rußland zu führen, vor allem nicht zur Unterstützung der zusammengewürfelten Armee der Ukraine. Das gleiche muß auch anderen NATO-Mitgliedern erklärt werden.

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