Pandemiebekämpfung, Wirtschaftskrise und Krieg - und die Psyche der Arbeiterklasse
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- Kategorie: Sachsen
- Veröffentlicht am Samstag, 10. September 2022 17:14
- Geschrieben von LO Sachsen
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Kapitalismus braucht ständiges Wachstum. Wenn die Produktion eine quantitative Grenze erreicht
hat, muss sie ihre Qualität ändern, um weiter wachsen zu können. Dass dieses Konzept auf Dauer
Irrsinn ist, sollte jedem normal denkenden Menschen sofort ins Auge Fallen.
Trotzdem spornen die Kapitalisten ihre Arbeiter immer zu neuen Höchstleistungen an, um die Ziele
ihrer Profitmaximierung zu erreichen. In den imperialistischen Zentren kann dies nicht mehr durch
bloße Beschleunigung der Fließbänder geschehen, sondern es muss immer mehr an der
Optimierung des Individuums geschraubt werden.
Ein Beispiel aus dem Jahr 2005: Als Didier Lombard zum Geschäftsführer der France Télécom
(heute bekannt als Orange) wurde, trat er als sogenannter „cost killer" (zu deutsch: „Kosten Töter")
an. Unter dem Slogan „Time to move" (zu deutsch: „Zeit sich zu bewegen") etablierte Lombardo
ein System, in dem jeder Mitarbeiter alle drei Jahre seinen Arbeitsplatz innerhalb des Konzern
wechseln sollte. Dabei wurden regelmäßig Befragungen der Kunden zu der Arbeitsleistung, sowie
der Freundlichkeit der Mitarbeiter unternommen, die in Personalakten vermerkt wurden. Alles zur
Effizienzsteigerung. Dies gelang den Unternehmen unter Lombardo: 3,5 Milliarden Euro
Kosteneinsparung und eine Ausdünnung des Personals um 22.000 Mitarbeiter. Der Konzern
erwirtschaftete in dieser Zeit 4,1 Milliarden Euro Gewinne.
Gleichzeitig kam es im Unternehmen zu einer Selbstmordwelle keines gleichen. Alleine im Jahr
2008 töteten sich 25 Mitarbeiter selbst und weitere 13 versucht es. Die Gewerkschaft hingegen
spricht von mehr als 60 Selbstmorden.
Die Konsequenzen? Lächerlich! Anfangs versuchte Lombard die Selbstmorde noch als
„Selbstmordmode" zu relativieren. Als dann jedoch selbst für den öffentlichen Diskurs dieses
Thema zu heiß wurde, musste Lombard seinen Posten räumen, wurde aber weiterhin als Berater
angestellt - bei einem Jahresgehalt von 500.000 Euro. Weiter wurde gegen ihn Anklage erhoben.
Das Ergebnis: 1 Jahr in Haft, 8 Monate zur Bewährung und 15.000 Euro Strafe. [1,2]
Zahlreicher solcher Optimierungsversuche innerhalb kapitalistischer Unternehmen lassen sich in
den letzten Jahren feststellen. Seit 2019 befinden wir uns nun aber zusätzlich in einem permanenten
Ausnahmezustand. Die Covid-19 Pandemie hält die Menschen auf der Erde fest im Griff. Hinzu
kommt die am 24. Februar 2022 begonnene militärische Offensive der russischen Föderation gegen
Ukraine und die damit verbundene, zeitlich versetzte Inflation des Westens. Alles Faktoren, die
massive Auswirkungen auf das Leben der Arbeiterklasse haben.
Seit gut zwei Jahren unternimmt die Mehrheit der Bevölkerung alle erdenklichen Maßnahmen, um
die Wellen des tödlichen Virus abzuschwächen und so das Leben der Mitbürger zu schützen. Der
Staat verordnete sehr halbherzig diverse Einschränkungen zur Eindämmung der Pandemie und
diese betrafen vorallem das private Leben der Menschen, weniger jedoch den möglichen
Infektionsort Arbeitsplatz. Genau so halbherzig, wie ihn das körperliche Wohl seiner Bevölkerung
als Selbstzweck interessierte, so lag ihm auch das psychische Wohl nicht am Herzen.
Menschen starben in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, ohne sich von ihren Liebsten
verabschieden zu können. Schüler isolierten sich durch mangelnde technische Infrastruktur in
Zeiten des sogenannten „Home Schoolings" und wurden teilweise gänzlich aus dem
Unterrichtsgeschehen ausgeschlossen. Aber auch der gesundheitlich nicht-betroffene Arbeiter und
Angestellte wurden durch unzählige Monate im „Homeoffice" und eingeschränkte
Freizeitgestaltung, sowie dauernde Existenzängste um Job und Wohnung zermürbt.
In Großbritannien werden diese Phänomene sehr breit untersucht. Man stellte dabei fest, dass es seit
Beginn der Pandemie zu einer Verdopplung der Alkoholabhängigen kam und um eine 20%
gesteigerte Sterberate aufgrund von Alkohol. Jeder 40% der Doktoranden im Königreich hat
regelmäßig Suizidgedanken. In allen Bereichen des Gesundheitswesen kam es zum
Anstieg psychischer Erkrankungen durch Mehrbelastung, sowie die häufigere Konfrontation
mit dem Tod. [3,4,5]
Die Inflation und der Krieg in der Ukraine zeigen uns jedoch, dass mit der Pandemie und ihren
Einschränkungen noch nicht die Spitze des Eisbergs erreicht wurde und die Arbeiterklasse mit
weiteren Verschlechterungen ihrer Lebenslage zu kämpfen haben wird.
Schon heute sind 2,9 Millionen Kinder und Jugendliche in Deutschland von Armut gefährdet.
Schon jetzt reicht z.B. das Arbeitslosengeld II nicht im Ansatz um die täglichen
Lebenshaltungskosten zu decken, geschweige denn ein menschenwürdiges Leben zu führen. Nun
kommen 8% Inflation bei 0,76% Steigerung des Regelsatzes (das entspricht 3 Euro) hinzu. Wenn
die Politik nicht sofort etwas unternimmt, ist dies Mord auf Raten. Schon heute zeigen gut eine
halbe Millionen 16-19 Jährige Symptome von Depressionen. Das entspricht zirka 25% dieser
Bevölkerungsgruppe im Gegensatz zu 10% im Jahr vor der Pandemie. Wenn jetzt noch
Unterernährung und fehlende Teilhabe am gesellschaftlichen Leben hinzukommt, wird hier sozialer
Sprengstoff entstehen, der zu Aufständen und Krawallen führen wird. Als Vorgeschmack können
hier sicherlich die Unruhen in den sogenannten „Banlieues“ (französisch für „Bannmeile“. In etwa
vergleichbar mit einer Vor- oder Trabantenstadt) in Frankreich 2005 gesehen werden. Damals entlud
sich der aufgestaute Frust der oft jungen und migrantischen Jugendlichen gegen ihre eigenen
Viertel. Der Protest war roh und ungezielt. Für die Zukunft müssen wir alles dafür geben, diese Wut
auf der Straße für die Sache der kommunistischen Partei und der gesamten Arbeiterklasse zu
kanalisieren. [6,7,8]
Optimierung des Individuums bedeutet heute, Stärke zeigen. Nicht mehr durch Muskelkraft und
Schweiß und Blut. Heute bedeutet Stärke, selbst unter widrigsten sozialen Bedingungen Leistung zu
bringen. 10 Stundenschichten im Homeoffice arbeiten, andauernd erreichbar sein und sich und seine
Familie schulisch und fachlich auf dem neusten Stand halten, damit man konkurrenzfähig bleibt.
Nur wer bereit ist, seine eigene körperliche und geistige Gesundheit täglich aufs Spiel zu setzen und
moralisch so verroht ist, neben den Leichen seiner toten Kollegen noch Leistung zu bringen (so
geschehen im Dezember 2019, im VW-Werk Wolfsburg) wird in diesem menschenverachtenden
Spiel aufsteigen können. [9]
Quellen:
1 https://taz.de/Selbstmord-Serie-bei-France-Telecom/!5154091/
8 https://www.deutschlandfunk.de/vor-10-jahren-tod-zweier-jugendlicher-loest-unruhen-in-100.html