Das "gute" Deutschland – ein Schleuserparadies?
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- Kategorie: Hessen
- Veröffentlicht am Dienstag, 30. November 2021 14:36
- Geschrieben von LO Hessen
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von Dagmar Henn, übernommen via RT Deutsch am 27. November 2021
(Dieser Artikel entspicht nicht der Position der gesamten Partei. Die KPD LO Hessen möchte mit der Veröffentlichung dieses Artikels die Diskussion befördern.)
Am Mittwoch sind 27 Menschen, die versuchten, von Frankreich nach England zu gelangen, vor Dünkirchen im Ärmelkanal ertrunken, darunter sieben Frauen und drei Kinder. Zwei der Insassen überlebten, als das Schlauchboot sank, in dem sie unterwegs waren. Zu ihrer Rettung bedurfte es eines Großeinsatzes britischer und französischer Schiffe. Dieses bisher größte Unglück auf der Migrationsroute nach England hat die Franzosen tief erschüttert.
"Der Schleuser, den wir heute Nacht festgenommen haben, hatte deutsche Kennzeichen. Er hat diese Schlauchboote in Deutschland gekauft", erklärte der französische Innenminister Gérald Darmanin am Donnerstag. Der in Dünkirchen Festgenommene wird sich wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und vermutlich mindestens wegen fahrlässiger Tötung verantworten müssen, wie noch vier weitere Personen (seit Jahresbeginn wurden in Frankreich 1.500 Personen wegen Schleuserei festgenommen).
Von Anfang an war das der neuralgische Punkt der gefährlichen Meeresrouten: die Schlauchboote und ihre Außenbordmotoren. Schlauchboote dieser Größe sind nicht im Kaufhaus zu erwerben; es dürfte nur einige wenige Händler in Deutschland geben. Genutzt werden sie hier als Lastboote auf Seen und von Tauchvereinen. Ein solches Boot kostet einige Tausend Euro; Gleiches gilt für die erforderlichen Außenbordmotoren, die um die neun-, zehntausend Euro kosten dürften. Wenn der Käufer, wie es die Formulierung des französischen Innenministers nahelegt, ein hier lebender Migrant war, ist davon auszugehen, dass der Verkäufer eine Ahnung hatte, für welchen Zweck er das Boot verkaufte. Weltweit gibt es übrigens nur zwei Hersteller solcher Motoren, einen in Japan und einen in den USA, und auch die Zahl der Bootshersteller ist überschaubar.
Bei einem wirklichen Willen, die Migrationsrouten übers Meer zu stoppen, wäre das also durchaus möglich, indem man den Vertrieb von Booten und Motoren kontrolliert oder versucht, auf die Hersteller entsprechend einzuwirken. In der Türkei zumindest werden inzwischen Außenbordmotoren registriert. Die EU hätte längst entsprechende Initiativen starten können, hat sie aber nicht. So, wie die Machtverhältnisse und die jeweiligen Positionen zur Migration in der EU aussehen, ist davon auszugehen, dass diese Untätigkeit auf das deutsche Konto geht.
Die weißrussische Fluglinie Belavia wurde sogleich sanktioniert, obwohl sie nicht für die Flüchtlingskrise verantwortlich war. Warum wurde mit den Herstellern der Boote und Motoren in all den Jahren nicht einmal verhandelt?
Auch im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise in Weißrussland waren in Deutschland ansässige Schleuser aufgetaucht. Die Studie von Semantic Vision veröffentlichte mehrere Screenshots mit deutschen Handynummern und bestätigte, dass die Mehrzahl der Schleuser, die Geschäfte entlang der weißrussischen Route machen, in Deutschland wohnt. Die deutsche Regierung hält es aber für wichtiger, Vorwürfe an andere Länder zu verteilen, statt diese Tätigkeit zu unterbinden.
Im Gegensatz zu Frankreich werden Schleppertätigkeiten in Deutschland nur begrenzt strafrechtlich verfolgt, obwohl sie ein Straftatbestand sind. Natürlich gibt es auch Menschen, die tatsächlich Verfolgten helfen wollen. Aber es gibt eben genug, die schlicht damit Geld verdienen und denen das Risiko, dem sie ihre Kundschaft aussetzen, egal ist, wie offenkundig jenem Schlepper, dem die 27 Menschen zum Opfer fielen.
Im Jahr 2019 gab es in Deutschland insgesamt nur 457 Verurteilungen wegen § 96 AufenthG. Zwei Probleme machen die Strafverfolgung schwierig – zum einen ist Schleusung in Deutschland nur dann strafbar, wenn sie gegen materielle Gegenleistung erfolgt, was belegt werden muss. Zum anderen ist die Strafbarkeit der Beihilfe nur dann gegeben, wenn die Einreise selbst strafbar ist. Wer tatsächlich Asyl erhält, dessen Einreise ist nicht strafbar, und Gleiches gilt infolgedessen für die Schleusung. Sobald der illegal Eingereiste hier Asyl beantragt, steht die mögliche Strafverfolgung also still bis zum Abschluss des Asylverfahrens. Das macht jedoch eine Unterbindung selbst gewerbsmäßiger Schlepperei, wie sie gerade über Weißrussland erfolgt ist, fast unmöglich. Diese Regelung ist tatsächlich hilfreich bei wirklich Verfolgten, schützt aber gleichzeitig Profiteure, die ihren Gewinn daraus ziehen, Menschen hierher zu locken.
Übrigens ist an sich sogar die Werbung für illegale Einreise in Deutschland strafbar. Theoretisch würde das viele der im Bericht von Semantic Visions erwähnten Gruppen in den sozialen Medien betreffen. Allerdings lassen sich für eine Strafverfolgung in diesem Bereich überhaupt keine Belege finden. Das Bundeslagebild Schleuserkriminalität erwähnt Werbung nicht einmal.
Zwischen den "Seenotrettern" und den libyschen Schleppern muss es eine direkte Kommunikation geben, so wie die italienischen Strafverfolgungsbehörden es den Ersteren vorgeworfen haben. Die Außenbordmotoren verbrauchen 40 Liter Treibstoff für eine Stunde Fahrt, aber so ein schwer beladenes Boot ist langsam und schafft vielleicht zehn Kilometer pro Stunde. Platz für den nötigen Treibstoffvorrat haben sie aber nicht. Die Boote, die man auf den Aufnahmen von dort sieht, können also das Mittelmeer gar nicht überqueren und werden meist bis an die Grenze der libyschen Hoheitsgewässer noch geschleppt. Wie diese Kommunikation funktioniert und wer sie aufgebaut hat, wäre eine höchst spannende Frage, deren Lösung einen weiteren Hebel liefern könnte, den gefährlichen Transport zu unterbinden.
Selbst wenn man davon überzeugt ist, dass es eine humanitäre Handlung bleibt, wenn man die Geretteten nicht, wie es das Seerecht vorsieht, an der nächsten Küste absetzt, sondern ins Wunschziel EU bringt, so müsste doch jede Zusammenarbeit mit jenen, die ein Geschäft daraus machen, Menschen gegen viel Geld in untauglichen Gefährten aufs Meer zu schicken, strafrechtlich unterbunden werden.
Was man in anderen europäischen Ländern von den deutschen "Seenotrettern" hält, mag man einem Schreiben des britischen Premierministers Boris Johnson entnehmen. Dieser schrieb nach der Tragödie vom Mittwoch an den französischen Präsidenten Emmanuel Macron: "Ich würde vorschlagen, dass wir eine bilaterale Rücknahmevereinbarung abschließen, damit alle Migranten, die den Kanal überqueren, zurückgebracht werden können. Das hätte eine sofortige Wirkung und würde die Überquerungen deutlich verringern – wenn nicht gar stoppen – und Leben retten, indem das Geschäftsmodell krimineller Banden zerbrochen wird."
In Deutschland würde man für eine solche Aussage sofort als Rassist beschimpft. Auch wenn es logisch stimmt – nur die völlige Nutzlosigkeit der Fahrt würde tatsächlich davon abhalten und damit die Leben all jener retten, die dabei umkommen.
Johnson und Macron sind sich herzlich uneins, aber das betrifft andere Fragen: das Fischereiabkommen, den britischen Vorschlag, gemeinsame Patrouillen vor beiden Küsten einzuführen, der in Frankreich als Angriff auf die Souveränität wahrgenommen wird, und die Aufforderung an Frankreich, die Bewachung der Küste zu verstärken. Dort gibt es Streit, sogar so heftigen, dass die britische Innenministerin Priti Patel vom anstehenden Treffen der Innenminister ausgeladen wurde.
Aber wie würde Johnson reagieren, wäre eines der deutschen "Seerettungsschiffe" dort unterwegs? Wie wäre die französische Reaktion? Beide wären relativ vorhersehbar. Die Briten würden sie festsetzen und wegen Menschenhandels vor Gericht stellen. Die Franzosen vermutlich ebenso. Das kollidierte allerdings mit der deutschen Erzählung, die "Retter" seien unschuldig an den gefährlichen Fahrten, wie das im Zusammenhang mit der libyschen Küste immer erzählt wird – weshalb man diese Schiffe nie vor der französischen Küste sehen wird.
Es ist der Gipfel des Zynismus, wenn dasselbe Deutschland, das hiesige Schlepper unbeeinträchtigt arbeiten lässt und an den notwendigen Stellen keine Schritte unternimmt, um das Geschäft zumindest zu erschweren, anderen Ländern Schlepperei vorwirft. Der Menschenhändler von Calais belegte, dass da einiges aufzuräumen ist. Es mag ja nett gemeint sein, Menschen vor der libyschen Küste aus dem Wasser zu fischen. Eine wirkliche Bekämpfung des Elends kann aber nur auf zwei Säulen beruhen: aufzuhören, andere Länder aus welchem Grund auch immer zu zerstören, wie es unter anderem mit Libyen und Syrien geschehen ist, und konsequent das Geschäft mit der Flucht erschweren. Bei beidem tut Deutschland das Gegenteil des Erforderlichen, und das wird sich mit der kommenden Regierung noch verschlimmern.