Die Erwartungen der Welt
- Details
- Kategorie: International
- Veröffentlicht am Dienstag, 28. Januar 2014 10:31
- Geschrieben von estro
- Zugriffe: 11157
german-foreign-policy vom 27.01.2014
MÜNCHEN – Vor der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz plädieren namhafte deutsche Außenpolitiker für „deutsche Führung“ bei den außen- und militärpolitischen Aktivitäten der EU. Es sei „die Aufgabe des Starken, … Europas Handlungsfähigkeit zu sichern“, schreibt der ehemalige bundesdeutsche Verteidigungsminister Volker Rühe in einem aktuellen Pressebeitrag: „Deutschland muss führen“. Wie der Leiter der Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, erklärt, müsse die neue Bundesregierung „die deutsche Außenpolitik in Europa massiv zum Tragen“ bringen. Seit die Krise „das Gewicht Deutschlands“ in der EU habe wachsen lassen, seien „auch die Erwartungen der Welt an die deutsche Führungskraft gestiegen“. Die Voraussetzungen für eine deutsch-europäische Weltpolitik scheinen günstig, seit die Bundesregierung vergangene Woche die Grundlagen für die Einbindung Frankreichs in ihre Außenpolitik gelegt hat.Wie die Außenminister beider Länder mitteilen, werden sie sich in Zukunft eng abstimmen und auch gemeinsam Auslandsreisen unternehmen. Berlin operiert dabei gegenüber dem empfindlich krisengeschwächten Paris aus einer Position dominanter Stärke – und kann darauf rechnen, im Modus angeblicher Kooperation seine Interessen weitgehend durchzusetzen.
Deutsche Führungskraft
Kurz vor der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz werben namhafte deutsche Außen- und Militärpolitiker für eine offensivere deutsche Weltpolitik. „Infolge der Krise in Europa“ sei „das Gewicht Deutschlands gewachsen“, erklärt etwa der Leiter der Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, ein ehemaliger Staatssekretär im Auswärtigen Amt und einstiger Botschafter Berlins in den USA. Damit seien aber „auch die Erwartungen der Welt an die deutsche Führungskraft gestiegen“. Das sei „nicht nur angenehm“, weil die bundesdeutsche Außenpolitik sich oft „hinter dem Schutzschild der USA und anderer“ in die zweite Reihe begeben habe. Nun jedoch müsse die Bundesregierung dafür sorgen, „dass die Europäische Union als außen- und sicherheitspolitischer Akteur Glaubwürdigkeit annimmt und klare Ziele definiert“. Er erwarte von Außenminister Steinmeier und Verteidigungsministerin von der Leyen, dass sie „die deutsche Außenpolitik in Europa massiv zum Tragen“ brächten. Es sei zudem nötig, „auf dem militärischen Feld das Prinzip der Integration zum Leben zu erwecken“; es gehe nicht an, dass „jeder Staat seine nationalen Armeen pflegt“.[1] Ischinger bezieht sich damit auf die Forderung nach engerer militärischer Kooperation innerhalb der EU.
Die Aufgabe des Starken
Deutliche Worte hat letzte Woche ebenfalls der ehemalige bundesdeutsche Verteidigungsminister Volker Rühe gewählt. Laut Rühe habe sich Deutschland „in eine sicherheitspolitische Passivität begeben, die seiner Rolle als bevölkerungsreichster Staat Europas und als eine global führende Wirtschaftsmacht nicht entspricht“. Dies sei „unwürdig“. Die neue Bundesregierung müsse daher beginnen, „ernsthaft Verantwortung zu übernehmen“. Das sei durchaus möglich: „Deutschland besitzt dafür genügend Ressourcen und fähige, bestens ausgebildete Streitkräfte.“ In einem ersten Schritt könne man „die französischen Kräfte in Mali im Rahmen einer EU-Mission im Kampf gegen und Schutz vor islamistischen Kräften für die Dauer eines Jahres signifikant entlasten“, fordert Rühe; Berlins Pläne griffen „noch zu kurz“. Darüber hinaus müsse man auf jeden Fall „zu einer auch strukturell engeren Zusammenarbeit finden“, um die militärischen Kapazitäten der EU-Staaten zu bündeln. Nötig sei nicht nur „eine arbeitsteilig organisierte europäische Verteidigung“, sondern auch ein konsolidierter „europäische(r) Rüstungsmarkt“.[2] Es sei nun schließlich „die Aufgabe des Starken, mit Beispiel zu führen und Europas Handlungsfähigkeit zu sichern“, schreibt Rühe, der seinen Beitrag in einer führenden deutschen Tageszeitung mit der Forderung schließt: „Deutschland muss führen“.
„Wir stehen bereit“
Zuletzt hat Bundespräsident Joachim Gauck angekündigt, sich auf der Sicherheitskonferenz ebenfalls zu „Deutschlands Rolle in der Welt“ zu äußern. Gauck hatte im Herbst in seiner Rede zum Nationalfeiertag behauptet, „Stimmen“ im In- und Ausland nähmen zu, die „in Europa und in der Welt … eine starke Rolle Deutschlands“ forderten. Das gelte auch für militärische Aktivitäten.[3] In den folgenden Wochen und Monaten hatten sich im außenpolitischen Establishment Berlins die Rufe nach einer „Neuvermessung der deutschen Weltpolitik“ gehäuft (german-foreign-policy.com berichtete [4]). „Wir wollen die globale Ordnung aktiv mitgestalten“, heißt es nun auch im Koalitionsvertrag der jetzigen Bundesregierung: „Wir stehen bereit, wenn von unserem Land Beiträge zur Lösung von Krisen und Konflikten erwartet werden.“[5] Gauck, der als erster Bundespräsident überhaupt bei der Sicherheitskonferenz auftreten wird, behauptet, er gewinne „bei fast all meinen Auslandsbesuchen oder bei Gesprächen mit internationalen Gästen … den Eindruck: Die Erwartungen an Deutschland sind groß.“ Dies gelte nicht nur, aber auch für „potentielle militärische Beiträge zur Befriedung von Konflikten“. Er wolle sich in seiner Münchner Rede am Ende dieser Woche damit befassen, erklärt Gauck: „Diese Frage wird uns, da bin ich sicher, die nächsten Jahre immer wieder beschäftigen.“[6]
Widerstände
Eine zentrale Voraussetzung für eine neue deutsch-europäische Offensive in der Weltpolitik hat die Bundesregierung in den vergangenen Wochen geschaffen: Sie hat die Grundlagen für die Einbindung Frankreichs in die deutsche Außenpolitik gelegt. Immer wieder hatte Paris in den letzten Jahren versucht, die Ausrichtung der EU-Außenpolitik an den dominanten Interessen Berlins zu durchbrechen und die Ressourcen „Europas“ auch für französische Projekte zu nutzen, darunter die Mittelmeerunion, aber auch Kriege – etwa die Bombardierung Libyens. Die Bundesregierung hatte vieles davon blockiert.[7] Paris hatte, um die deutsche EU-Blockade zu durchbrechen, Ende 2010 ein ehrgeiziges Militärbündnis mit London geschlossen, das ihm – etwa für den Libyen-Krieg – neue Spielräume öffnete. Deutsche Außenpolitik-Spezialisten hatten daraufhin gewarnt, die britisch-französische Kooperation dürfe nicht unterschätzt werden; es handele sich um eine Art neuer Entente Cordiale, die die Durchsetzung deutscher Interessen bedrohe (german-foreign-policy.com berichtete [8]). Tatsächlich hat Berlin Anfang 2013 eine Kurskorrektur vollzogen und Frankreichs Militäreinsatz in Mali vorsichtig unterstützt – freilich verbunden mit dem Bestreben, nicht nur das britisch-französische Bündnis auszuhebeln, sondern auch die Beteiligung an einigen Operationen zu nutzen, um seinen Einfluss in der bislang stark abgeschotteten westafrikanischen Frankophonie auszubauen. Mittlerweile zeichnen sich erste Erfolge ab (german-foreign-policy.com berichtete [9]).
Aus einer Position der Stärke
Letzte Woche hat das Auswärtige Amt nun bekannt gegeben, die deutsch-französische Kooperation in der Außenpolitik solle in Zukunft verstetigt werden. Vorausgegangen war die Ankündigung des französischen Staatspräsidenten, Frankreich werde sich wirtschafts- und finanzpolitisch vollständig den deutschen Austeritätsmodellen für die EU unterordnen; für sie steht beispielhaft die deutsche „Agenda 2010“.[10] Offiziell heißt es nun, Berlin komme Paris dafür außen- und militärpolitisch entgegen und sei bereit, sich in Zukunft eng mit Frankreich über die weltweiten EU-Aktivitäten abzustimmen. So vereinbarten die Außenminister beider Länder am 21. Januar in Paris, von nun an vor bedeutenderen EU-Treffen Vorabsprachen zu treffen und „gemeinsame Reisen in Regionen“ zu planen, die „für beide Länder und für die Europäische Union von besonderem Interesse sind“.[11] Faktisch wird Berlin dabei seine aktuelle Position dominanter Stärke nutzen können, um Paris für seine Ziele einzuspannen oder – wie in Mali – Positionsgewinne in Frankreichs afrikanischem Pré-Carré zu erzielen. Ersteres wird in den beiden Ländern der Fall sein, in die Außenminister Frank-Walter Steinmeier in Kürze mit seinem Amtskollegen Laurent Fabius reisen will – Georgien und Moldawien. Letzteres trifft auf Länder des frankophonen Afrika zu, in die die darauf folgende Außenministerreise führen soll. In diesem Sinne will Berlin nun auch die Deutsch-Französische Brigade aktivieren, deren Auflösung Paris neulich angedroht hatte.[12] Die Konstellation bietet Berlin die Chance, die gesamte Außen- und Militärpolitik der EU in der jetzt angekündigten Offensive in vollem Umfang an deutschen Interessen auszurichten.
Weitere Informationen und Hintergründe zur deutsch-europäischen Weltpolitik finden Sie hier: Eine neue Ära des Imperialismus, Die Kanzlerin Europas, Voraussetzungen deutscher Weltmacht, Praeceptor Europae, Schlafende Dämonen, Die Neuvermessung der deutschen Weltpolitik, Die Dominanz über Europa und Auf Augenhöhe mit den USA, Bereit zur globalen Ordnungspolitik und Die Agenda 2020.
[1] „Partner abzuhören ist dämlich“. www.stuttgarter-zeitung.de 23.01.2014.
[2] Volker Rühe: Deutschland muss führen. Frankfurter Allgemeine Zeitung 21.01.2014.
[3] „Die Freiheit in der Freiheit gestalten“. www.bundespraesident.de 03.10.2013. S. dazu Schlafende Dämonen.
[4] S. dazu Die Neuvermessung der deutschen Weltpolitik, Die Dominanz über Europa undBereit zur globalen Ordnungspolitik.
[5] Deutschlands Zukunft gestalten. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD. 18. Legislaturperiode. S. dazuVon der Isolation bedroht.
[6] „Wir sollten Vertrauen zu uns selbst haben“. Ein Gespräch mit Bundespräsident Joachim Gauck. Frankfurter Allgemeine Zeitung 24.01.2014.
[7] S. dazu Hegemonialkonkurrenten, Kein Gegenpol und Vorposten.
[8] S. dazu Die neue Entente Cordiale.
[9] S. dazu Deutschland 001.
[10] S. dazu Le modèle Gerhard Schröder.
[11] Gemeinsame Erklärung von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier und Außenminister Laurent Fabius zur deutsch-französischen Zusammenarbeit. 21.04.2014.
[12] S. dazu Die Abkopplung Frankreichs.