Die Erinnerung an die Selbstbefreiung der Häftlinge des KZ Buchenwald darf nicht ausgelöscht werden
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- Kategorie: Inland
- Veröffentlicht am Donnerstag, 24. April 2025 08:00
- Geschrieben von estro
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Rede von Sebastian Bahlo
Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Vertreter der Russischen Föderation, Genossinnen und Genossen,
ich möchte mich bei der Landesvorsitzenden des Thüringer Freidenker-Verbandes Heike Cienskowski dafür bedanken, daß sie diese Bündnisveranstaltung hauptverantwortlich organisiert hat. Das Verhalten der Gedenkstättenleitung, die Kommunistische Organisation nicht als Mitveranstalter zuzulassen, vor allem mit der infamen Begründung, sie sei „antisemitisch“, empfinde ich als unwürdig, und sie verstößt gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Die Stiftung mag ein Hausrecht ausüben, aber als eine mit Gesetz des Thüringer Landtags gegründete Stiftung des öffentlichen Rechts ist sie zur Wahrung der Bürgerrechte verpflichtet und darf die Erlaubnis zur Durchführung einer Gedenkveranstaltung nicht von ihrer politischen Bewertung der Antragsteller abhängig machen.
Dieser Willkürakt reiht sich ein in die Nichteinladung von Vertretern Rußlands und Weißrußlands zu offiziellen Gedenkveranstaltungen im Zusammenhang mit dem Achtzigsten Jahrestages der Befreiung Europas vom Faschismus, so etwa zu den sog. D-Day-Feiern in der Normandie im letzen Jahr oder zum Achtzigsten Jahrestag der Auschwitz-Befreiung durch die Rote Armee am 27. Januar. Wie die Berliner Zeitung erfuhr, hat das deutsche Außenministerium eine geheime Handreichung für Landkreise und Kommunen ausgesandt, in der es wörtlich heißt: „Sollten Vertreter von Russland oder Belarus bei Veranstaltungen im Inland unangekündigt erscheinen, können Einrichtungen in eigenem Ermessen und mit Augenmaß von ihrem Hausrecht Gebrauch machen.“ Das heißt in der Konsequenz, daß ranghohe Diplomaten von einfachen Türstehern abgewiesen werden können. Auf welches Niveau ist die deutsche Diplomatie gesunken! Wie man weiter aus der Berliner Zeitung erfährt, hat die belarussische Vertretung in Deutschland Ende März ein Schreiben der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora bekommen, wonach „belarussische Vertreter auf Gedenkveranstaltungen in den kommenden Wochen in Thüringen unerwünscht seien.“ Ich begrüße es, daß die Organisatorin zu unserer heutigen Veranstaltung ausdrücklich die Vertreter Rußlands eingeladen hat und noch mehr, daß sie allen Widrigkeiten zum Trotz der Einladung gefolgt sind.
Ein Menschenleben ist es her, daß der Zweite Weltkrieg, der bisher größte und opferreichste Krieg der Menschheitsgeschichte, seinem Ende entgegen ging und mit ihm das bestialische Hitlerregime. Nur noch wenige Zeitzeugen kennen aus eigenem Erleben die Schrecken des Krieges und der faschistischen Diktatur und, besonders wichtig, die perfide Propaganda und ihre Wirkung. Dieser Umstand erleichtert es den heutigen Kriegstreibern und Kriegspropagandisten, „in aller Öffentlichkeit“, wie Brecht formulierte, einen neuen Krieg gegen Rußland vorzubereiten, und zwar mit atemberaubendem Tempo. Es wird ganz offen davon gesprochen, daß 2029 oder 2030 ein großer Krieg zwischen der EU und Rußland ansteht. Die deutschen Kriegskredite wurden noch schnell vom abgewählten Bundestag durchgewinkt. Gerade wurde gemeldet, daß ein niederländischer Soldat bei einem NATO-Manöver in Sachsen-Anhalt ums Leben gekommen ist. Nach dem Zwei-plus-Vier-Vertrag hat es überhaupt keine NATO-Manöver in Sachsen-Anhalt zu geben. Nachdem die mündliche Zusage, die NATO nicht auf ehemalige Mitgliedsstaaten des Warschauer Vertrages zu erweitern, schon lange gebrochen wurde, wird jetzt mit einem ratifizierten völkerrechtlichen Vertrag gleichermaßen verfahren.
Diese Kriegsvorbereitung erfordert die Auslöschung der Erinnerung an den letzten größenwahnsinnigen und katastrophalen Versuch dieser Art. Sie erfordert die Auslöschung der Erinnerung daran, wie schon damals systematisch die Vorstellung, daß der Kreml das Zentrum der Aggression zur Unterjochung Europas sei, in die Köpfe gepflanzt wurde.
Ausgelöscht werden muß die Erinnerung an die Verbrechen der faschistischen Besatzer, damit sich niemand daran stört, wenn in der Ukraine Denkmäler für die Kollaborateure dieser Verbrechen errichtet werden.
Ausgelöscht werden muß auch die Erinnerung an den antifaschistischen Widerstand, damit er den Heutigen nicht als Beispiel dient. Ernst Thälmann, der am 18. August 1944 hier in Buchenwald ermordet wurde, hatte schon bei der Wahl zum Reichspräsidenten 1932 mit der Losung „Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler, wer Hitler wählt, wählt den Krieg“ die Kriegsvorbereitung als Daseinszweck des Hitlerfaschismus erkannt. Den Zusammenhang von Faschismus und Krieg zu verstehen, ist heute wieder besonders wichtig.
„Nie wieder Faschismus“ ist zur Zeit eine oft gehörte Parole. Die Parole ist gut und wichtig, wir sollten uns eigentlich freuen, aber ob ihr Sinn und ihre akute Bedeutung immer richtig verstanden werden, muß leider bezweifelt werden. Wenn sich der Kampf gegen die Wiederkehr des Faschismus nur auf eine gewisse Oppositionspartei fokussiert, deren faschistisches Potenzial durchaus existiert, aber die Faschisierungstendenzen der regierenden, sogenannten Parteien der Mitte nicht gesehen werden, kann es ein böses Erwachen geben. Wenn jetzt schon Äußerungen strafrechtlich verfolgt werden, die den Krieg in der Ukraine anders bewerten als die Bundesregierung oder den Völkermord an den Palästinensern beim Namen nennen, wenn Bürger, die regierungskritische Beiträge in der sozialen Medien verbreiten, mit Hausdurchsuchungen schikaniert und Nachahmer so abgeschreckt werden, dann ist das noch kein Faschismus. Es ist aber offensichtlich, in welche Richtung die Reise geht. Dagegen ist ein lautes und vielstimmiges „Nie wieder!“ dringend nötig.
Auch die Erinnerung an die Tatsache, daß ein wichtiges Feld des antifaschistischen Widerstands die Sabotage der Rüstungsproduktion darstellte – bekanntestes Beispiel ist die Sabotage der V2-Raketenproduktion im Buchenwald-Außenlager Mittelbau-Dora – soll in Zeiten der Rheinmetall-Euphorie nicht die Stimmung trüben.
Schließlich muß auch die Erinnerung an die Selbstbefreiung der Häftlinge des KZ Buchenwald ausgelöscht werden. In der alten Bundesrepublik wurde diese schon immer verschwiegen, da die Rolle der Kommunisten nicht gewürdigt werden sollte. Nach der Annexion der DDR mußte die DDR-Geschichtsschreibung revidiert werden. Warum das westdeutsche Narrativ noch heute ängstlich jedes Zugeständnis an die Theorie der Selbstbefreiung meidet, kann man sich vielleicht fragen. Die Tatsache des Aufstandes und der Entwaffnung der SS wird nicht bestritten. Die „Befreiung“ soll dann aber erst im Eintreffen der US-Armee bestanden haben. Als Argument wird angeführt, daß der Aufstand nur vor dem Hintergrund des nahenden US-Verbands möglich gewesen sei. Als ob nicht jedes historische Ereignis bestimmte Vorbedingungen hat. Derselben Logik folgend könnte man auch sagen, daß die US-Armee nur deshalb nach Thüringen gekommen war, weil die Wehrmacht ihre Hauptanstrengung gegen die Rote Armee richtete.
Daß man die Übernahme der Kontrolle über das Lager durch Vertreter des Häftlinge nicht als Selbstbefreiung charakterisieren will, hat vielleicht einen tieferen Grund: Die Ausbeuter und Kriegsvorbereiter von heute haben Angst vor diesem historischen Beispiel, welches zeigt, daß die Unterdrückung der Kämpfer für Frieden und Gerechtigkeit selbst mit den terroristischsten Mitteln nicht sicher bewerkstelligt werden kann. Und mit dieser Gewißheit will auch ich heute das Gedenken an die brutal Geschundenen und Ermordeten hier in Buchenwald verbinden.
Sebastian Bahlo ist Vorsitzender des Deutschen Freidenker-Verbandes
Quelle: https://www.freidenker.org/?p=21446#bahlo
