Diskussionsbeitrag: Klarheit in der Position der ukrainischen Kommunisten

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Kategorie: Diskussion
Veröffentlicht am Samstag, 08. April 2023 09:00
Geschrieben von estro
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diskussionsbeitrag

 

 Vorwort von Yana (KPD)

In der Auseinandersetzung um die Frage „Krieg in der Ukraine“ ist uns die Position der ukrainischen Kommunisten besonders wichtig. Wer sonst sollte das Schicksal des eigenen Landes am besten beurteilen können und dürfen.

Momentan hat die Kommunistische Bewegung keine „Internationale“. Am nächsten steht einer modernen Internationalen momentan die Vereinigung von kommunistischen Parteien bei SolidNet, zu der auch wir eine Mitgliedschaft anstreben. SolidNet hat die Position des Bundes der Kommunisten der Ukraine (weiter BKU) veröffentlicht. Zum einen hat der BKU das Joint Statement (verfaßt von 4 Parteien) unterschrieben und sich dahingehend positioniert, die „russische Aggression“ als imperialistische Aggression zu betrachten und sowohl die USA/NATO als auch den russischen Imperialismus zu verurteilen.

Der BKU wurde als ukrainische „Schwesterpartei“ der RKAP gegründet und hat unter der Führung der großen Kommunistin Tamila Jabrova von Anfang an ähnliche Positionen vertreten wie die RKAP. Aus diesem Grund können wir die BKU als eine marxistisch-leninistische, antirevisionistische Partei bezeichnen, im Gegensatz zur KPU (Kommunistische Partei der Ukraine), die, wie die KPRF, eher als sozialdemokratisch bezeichnet werden sollte.

Neben der Unterzeichnung der gemeinsamen Erklärung hat der BKU auch einen eigenen Brief an die RKAP auf der Solidnet-Website veröffentlicht.i

In diesem Brief wird sehr harte Kritik an der RKAP geübt, die bekanntlich die Ziele der Russischen Föderation wie den Kampf gegen den Faschismus in der Ukraine und den Schutz des Donbass anerkennt. Exemplarisch schreibt der BKU:

»Eine völlige Verzerrung der leninistischen Doktrin der Komintern, des imperialistischen Krieges und der Stellung der Parteien ist die von der Russischen Kommunistischen Partei vertretene Position zum „ganz schlechten und nicht ganz so schlechten Imperialismus“.

Mit unerschütterlicher Hartnäckigkeit griff die Führung des RKAP die Losung der „Entnazifizierung“ auf, die von den bürgerlichen Behörden der Russischen Föderation so geschickt manipuliert wurde...

Genossinnen und Genossen! Indem Sie eine solche Pseudo-Denunziation unterstützen, unterstützen sie die Zerstörung der ukrainischen Städte und der zivilen Infrastruktur, den Tod der Zivilbevölkerung. War das die militärische Taktik der Roten Armee bei der Befreiung Deutschlands 1945? Nein, es war das diametrale Gegenteil der Alliierten der Anti-Hitler-Koalition, die Dutzende deutscher Städte bombardierten - Dresden, Hamburg, Magdeburg, Bonn, Dortmund, Miesburg, Nürnberg und andere. Heute sind in der Ukraine als Folge der Invasion Dutzende von Städten zerstört oder halb zerstört: Charkow, Mariupol, Irpen, Wolnowakha, Ijum, Popasna, Rubizhne, Sewerodonetsk, Artemiwsk...

Wer wurde in Kiew durch die Zerstörung des Stromnetzes und der Wasserversorgung entnazifiziert, Wasserversorgung entnazifiziert? Die faschistischen ukrainischen Machthaber? Sicher nicht - die sind sehr zufrieden mit ihrer autonomen Versorgung mit allen Ressourcen.

Ärger für die Bewohner der Stadt und für die am meisten benachteiligten und ungeschützten Menschen, die keine Transportmittel, keine Ersparnisse und vor allem keine Gesundheit haben um Wasser in den x-ten Stock eines sowjetischen Wohnhauses mit einem nicht funktionierenden Aufzug zu bringen, oder keine Stromgeneratoren haben; keine Hütten haben, nicht einmal eine kleine Datscha mit oder auch nur eine kleine Datscha mit einem Herd, um aus der Stadt herauszukommen und die Kälte zu ertragen.«

Eigentlich sehr erschütternde Worte und eine Anklage an die russischen Kommunisten, deren Unbarmherzigkeit und Empathielosigkeit. Es fehlt nur noch die Geschichte von der „Vergewaltigung ukrainischer Kinder“ und die Rhetorik unterscheidet sich in Nichts mehr von der NATO-Kriegsrhetorik. Hinzu kommt die Geschichtsmanipulation: Tatsächlich haben sowjetische Bomber auch deutsche Städte bombardiert und keineswegs vor der „Zerstörung ziviler Infrastruktur“ zurückgeschreckt, wenn auch nicht so brutal wie die US- und britischen Streitkräfte; dennoch hat die UdSSR ihre Verbündeten auch nicht von diesen Bombardierungen abgehalten oder sie verurteilt.

Aber das ist das gute Recht der ukrainischen Kommunisten, so zu denken, und das ist nicht das wirklich Spannende an dieser Geschichte.

Viel interessanter ist, daß wir als KPD Kontakte zur BKU haben, zu ukrainischen Kommunisten, die jetzt direkt in Odessa und Kiew sind. Also genau zu denen, die oft ihren Strom nur aus Generatoren beziehen und unter der ganzen Härte des Krieges leiden und gleichzeitig im Untergrund kämpfen, unter der täglichen Gefahr, von der ukrainischen SBU verhaftet zu werden.

Diese Kommunisten haben ihre Position klar zum Ausdruck gebracht. Sie stehen in Kontakt mit der RKAP und unterstützen voll und ganz die Position der Schwesterpartei. Es stellt sich heraus, dass die auf der SolidNet-Website geäußerten Positionen nur von einigen Mitgliedern der BKU stammen, die wegen des Krieges nach Europa geflohen sind.

Zu diesem Zweck haben die ukrainischen Untergrundkämpfer einen eigenen Brief an SolidNet geschrieben. Diese Antwort kann auf der Website des BKU im Original nachgelesen werdenii. Dazu muß angemerkt werden: Es ist nicht irgendeine obskure Website, wie sie jeder in den Weiten des Internets beliebig eröffnen kann, sondern laut der Waybackmachine immerhin seit 2012 die Seite des BKUiii. Selbstverständlich ist auch eine Website allein noch kein Zeugnis für die Legitimität, da man ihr nicht ansieht, wer dahintersteht. Doch mindestens ist sie ein Indiz, dem man ebenso nachgehen könnte und sollte wie bei einer familiären Verwandtschaft.

 

Die ungekürzte Übersetzung der Antwort des BKU vom 9. Dezember 2022

Eine Gruppe von Mitgliedern des Bundes der Kommunisten der Ukraine bzw. von Familienmitgliedern, die bei Ausbruch der Feindseligkeiten nach Westeuropa ausgereist sind, hat einen Aufruf an die kommunistischen Mitglieder der RKAP unter dem Titel „Brief des Bundes der Kommunisten der Ukraine an die Genossen der Kommunistischen Arbeiterpartei Rußlands“ veröffentlicht, der „auf einer Generalversammlung des BKU“ angenommen wurde.

Wir, die in unserem Land verbliebenen BKU-Mitglieder, hatten weder von der Einberufung der Generalversammlung noch von ihrer Tagesordnung gehört und erfuhren davon erst aus dem zitierten Dokument. Aber das ist nicht das Problem.

Das Dokument enthält eine Reihe von sehr fragwürdigen Bestimmungen, die jedoch mit der falschen Position der Führung einiger kommunistischer Parteien europäischer Länder übereinstimmen.

Der Verfasser des Aufrufs schreibt: »Das sind die Früchte ihrer Arbeit, ihrer Kontakte, die heute von denen ausgenutzt werden, die sich hinter der Meinung einzelner Bürger von Donezk und Luhansk verstecken, die sich immer noch an das Spinnennetz der illusorischen Hoffnung auf den „großen Bruder“ klammern, um ihre Unterstützung für die militärische Aggression des bürgerlichen Rußlands zu rechtfertigen.« Aber der Autor beginnt denselben Absatz mit den Worten: »Diese Mitglieder der RKAP, ... die die Situation richtig einschätzten, sich der Arbeitsgruppe anschlossen und einen bedeutenden Beitrag zum antifaschistischen Widerstand (hier und von mir weiter hervorgehoben. Sailor.) im Donbass leisteten…«

Der Autor ist sich also bewußt, daß im Donbass ein Kampf gegen den Faschismus in der Ukraine geführt wird, der die Form des Nazismus angenommen hat.

Warum sonst hätten der Autor und seine Familie ihre Heimat verlassen und sich auf den Weg nach Europa gemacht, als in Kiew die Luftschutzsirenen heulten, als das Leben in der Ukraine für Menschen, die in irgendeiner Weise mit kommunistischen Organisationen in Verbindung standen, immer gefährlicher wurde und viele ins Ausland flohen?

Man kann über die russische Aggression reden, so viel man will. Ja, die Handlungen der russischen Politiker sehen wie eine Aggression aus, aber war nicht die ganze Reihe von Handlungen seiner Gegner, die der Invasion vorausgingen, eine Aggression gegen Rußland?

Erinnern wir uns an die Verletzung aller NATO-Verpflichtungen, sich nicht nach Osten auszudehnen, erinnern wir uns an die Ausbildung der Armeen der ehemaligen Sowjetrepubliken, die Rußland feindlich gesinnt sind, durch NATO-Spezialisten, an die Verlegung der Biolabors des Blocks an die Grenzen Rußlands...

Die gesamte US-Politik der letzten zwei Jahrzehnte bestand darin, die ehemaligen Sowjetrepubliken für den Kampf gegen Rußland zu „rekrutieren“ - und zwar ganz explizit und offen. Die USA und die NATO-Staaten „pumpten“ astronomische Summen in die Aufrüstung dieser Republiken und in die Indoktrinierung ihrer Bevölkerung, während ihre Führer darüber logen, sie zu ernähren... (auf den Bauernhöfen werden auch Haustiere gefüttert... aber wozu?!)...

Weißrußland hat nicht mitgemacht, aber der Rest der Republiken... Sogar westliche Politiker geben es offen zu, der ehemalige französische Präsidentschaftskandidat Nicolas Dupont-Henian sagte, daß „Vladimir Zelenskyjs Ziel nicht darin bestand, die Ukraine zu verteidigen, sondern sein eigenes Volk zu opfern, um Rußland zu schaden...“

Hätte Rußland vorgehabt, die Nachbarrepubliken zu übernehmen oder sie wieder unter seinen Einfluß zu bringen, hätten russische Truppen 2008 nicht vor den Toren von Tiflis Halt gemacht, und selbst 2014, als ukrainische Politiker über die russische Aggression schimpften, hätte sich Rußland nicht auf die Krim beschränkt. Aber die USA und die NATO verlegten ihre Stützpunkte und Laboratorien immer näher an die Grenzen Rußlands. Und Rußland hat versucht, diese Pläne zu durchkreuzen - indem es an seine gefährlichste Grenze stieß und begann, sich vom Dollar zu entfernen.

Zum jetzigen Zeitpunkt können die Aktionen Rußlands als Kampf um seine Unabhängigkeit bezeichnet werden.

Ganz nebenbei hat die ukrainische Bevölkerung auch die Chance erhalten, sich von der faschistischen Unterdrückung zu befreien, und der Donbass hat die Chance erhalten, den ständigen nationalistischen Terror zu beenden, der seit fast 9 Jahren andauert.

Aber wir werden nicht alle interessanten Zitate aus diesem Dokument zitieren, es ist wichtiger, die Gründe zu verstehen.

Die Verfasserin des Briefes lebt heute mit ihrer ganzen Familie in Westeuropa und kennt alle führenden Vertreter der europäischen Linken (sie war bei vielen Gelegenheiten Dolmetscherin bei internationalen kommunistischen Foren).

Nachdem der Bund der Kommunisten der Ukraine zunächst den Kampf des Volkes im Donbass aktiv unterstützt hatte, hat die Verfasserin des „Briefes“ nun im Namen des gesamten BKU die gewaltsame Unterstützung des Donbass verurteilt, was sich beispielsweise mit der Linie der Kommunistischen Partei Griechenlands und einiger anderer europäischer kommunistischer Parteien deckt, die ebenfalls zuvor den Kampf der Ostukraine unterstützt hatten.

Wir haben uns bereits gefragt, warum die griechischen Genossinnen und Genossen die Aktionen eines Landes der bürgerlichen Demokratie verurteilen und damit ein Land unterstützen, das offen faschistisch ist? Immerhin gibt es in Griechenland noch eine Generation, die sich an den griechischen Faschismus erinnert.

Und warum unterstützen auch die Erben jener italienischen Kommunisten, die zusammen mit den bürgerlichen Demokraten im Kampf gegen die Faschisten starben, jetzt das Naziregime in der Ukraine...?

In den EU-Ländern gibt es keine Ermutigung, Rußland zu unterstützen. Das ist noch sehr milde ausgedrückt. Die Unterstützung von Putins „kriminellem“ Regime kann auch zu Repressalien führen. (Und das, obwohl nach ihren eigenen internationalen bürgerlichen Gesetzen noch keines ihrer eigenen bürgerlichen internationalen Gerichte Rußland als kriminellen Staat bezeichnet hat).
Kommunistische Parteien in Westeuropa sind legal, und ihre Führer haben alle Chancen, Sitze in den Parlamenten zu gewinnen, aber es ist auch möglich, diese Legalität zu verlieren. Ist dies nicht der Grund, warum die Führer einiger kommunistischer und Arbeiterparteien in Europa ihren Regierungen gegenüber loyal sind?

Das ist doch schon eine Abkehr vom Marxismus, das ist schon eine völlige Abkehr vom politischen Klassenkampf für die Interessen der Arbeiterklasse, ein Abgleiten in einen Kampf nur für Rechte. Dies sind bereits die ersten Schritte der einst ideologisch tiefgründigen und kämpferischen revolutionären Parteien hin zu einer Einigung mit der Bourgeoisie: Wir haben schon früher geschrieben, daß die Arbeiterklasse und die Kommunisten ihre eigenen Aufgaben und Interessen haben, und daß es im Interesse der Arbeiterbewegung ist, die Widersprüche im imperialistischen Lager auszunutzen, nicht sie auszulöschen. Insbesondere die akuten Widersprüche.

Im „Brief“ heißt es: »...Eine Verzerrung der Leninschen Lehre der Komintern über den imperialistischen Krieg und die Position der Parteien sind die von der RKAP vertretenen Positionen über den „absolut bösen und nicht so bösen Imperialismus...“.«

Erstens, die Lehren welcher Internationalen? Ausgerechnet der kommunistisch-leninistischen?

Zweitens: Die Verzerrung der leninistischen Lehre steht genau in dem zitierten „Brief“.

Und noch ein wesentlicher Hinweis: »Der „Brief“ wurde durch einen Beschluß der Generalversammlung des BKU angenommen…«

Die Versammlung welches BKU? Der Familie des Autors im Exil? Warum hält sich der Autor für berechtigt, im Namen der gesamten Organisation des Bundes der Kommunisten der Ukraine zu sprechen?

Ja, die Autorin ist eine Verwandte und rechtmäßiger Erbe von T.I. Jabrowa - der Gründerin und langjährigen Leiterin des BKU. Die Autorin hat ihr Eigentum geerbt und damit alle Archive, Listen von BKU-Mitgliedern mit Installationsdaten, den Computer mit allen Informationen... Aber die BKU selbst ist nicht das Eigentum von jemandem. Oder gibt es etwas Neues in den Algorithmen des Parteiaufbaus?

Der Text wurde von den Mitgliedern des BKU zusammengestellt und genehmigt,
die auf dem Territorium der Ukraine verbleiben.

 

Schlußwort und Kritik

Und jetzt kommt der interessanteste Teil: Dieser Brief wurde von BKU-Mitgliedern aus der Ukraine an Solidnet geschickt, damit er als ihre Sicht veröffentlicht wird. Schließlich veröffentlicht SolidNet alle Meinungen der teilnehmenden kommunistischen Parteien. Aber ausgerechnet hier lehnte SolidNet leider ab. Der eigentliche BKU, der Schulter an Schulter mit der RKAP steht und im eigenen Land im Untergrund kämpft, wird allem Anschein nach ignoriert. Eine Flüchtlingsfamilie, die auch dem BKU angehört und ihr Land nach Westeuropa verlassen hat, hat schon alles gesagt, das reicht.

Gregor nach Rücksprache mit der Autorin

 

Quellen:

ihttp://www.solidnet.org/article/Union-of-Communists-of-Ukraine-Letter-from-the-Union-of-Communists-of-Ukraine-to-comrades-from-the-Russian-Communist-Workers-Party/

iihttps://un-comm-ukr.ucoz.ru/publ/9-1-0-1688

iiihttps://web.archive.org/web/20121114235736/ - http://un-comm-ukr.ucoz.ru/